Mensch ärger dich nicht …

„Mich über Sachen aufzuregen, die mich ärgern, regt mich zusätzlich auf,
weil es mich im Grunde ärgert, dass es mich aufregt.“

by *MadeMyDay

Na, kennt ihr das auch, dass ihr euch darüber ärgert, dass ihr euch ärgert?
Das ist so eine Sache mit der Wut. Jeder kennt sie, ganz gleich ob man zornig ist, sich ärgert oder fuchsteufelswild wird, wir alle haben sie ab und an zu Besuch. Sie klopft nicht an, fragt nicht ob‘s grad passt, sie steht einfach plötzlich mitten im Wohnzimmer.
Kein Mensch weiß, wie sie hereingekommen ist und noch weniger wie er sie am schnellsten wieder los wird. Sie ist der Besuch, den niemand haben will und der trotzdem immer wieder vorbeischaut.

Es ist schon ein paar Jährchen her, da hat mir eine liebe Bekannte, die außer lieb auch noch Therapeutin ist, das mal so erklärt:
Es gibt die Traurigkeit (aka „Todestrieb“) und dann gibt es die Wut (aka „Lebenstrieb“). Tatsächlich hat beides seine Daseinsberechtigung, beides ist wichtig.
Ganz wörtlich darf man das jetzt nicht nehmen, aber im übertragenen Sinn wollte sie mir damit glaub ich folgendes erklären:
Während Traurigkeit eher in die Passivität verfällt, will die Wut nur eines – aktiv werden.  Wut strotzt nur so vor Energie.

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Ja wohin denn dann bitteschön mit all der angestauten, hyperaktiven, lebenstriebigen Energie?
Wenn man wie ein Druckkochtopf kurz vor dem Explodieren steht, wenn man nur noch mit Mühe das letzte bisschen Selbstbeherrschung zusammenkratzt,
um nicht Kind, Mann, oder den armen Goldfisch anzubrüllen, welche Möglichkeiten zum Dampfablassen
bleiben dann noch übrig?

Frustshoppen, Zuckerschock und Co helfen zwar kurzfristig über den ersten Grant hinweg, aber auf Dauer muss dann doch eine andere Lösung her …

Die Wurzel des ÄrgerÜbels liegt, wie so oft, in der Kindheit. Da lernt man, und das scheint ein generationenübergreifendes Problem zu sein, dass Zorn etwas ist, dass nicht „erwünscht ist“ bzw „geduldet wird“ … aha …
… ja wie zum Geier sollen wir denn dann lernen mit dem Zeug umzugehen und damit zu einem halbwegs brauchbaren Erwachsenen zu werden?!

In meiner Ausbildung zur Kindergärtnerin habe ich unter anderem gelernt, wie man mit viel Liebe und Geduld die kleinen und großen Leiden der Zwerge lindert: rinnende Nasen, volle Windeln, Hunger, kein Hunger, Heimweh, … null Problemo.
Alles ganz easy, wäre in dem Alter nicht noch die Wut-Sache (Jähzorn, Zerstörungstrieb, den Blumen mal ganz nebenbei die Köpfe abschlagen, …).
Und damit kann ich ja mal gar nicht, muss ich auch ehrlich zugeben.

Photo by Patrick Fore on Unsplash.jpg

Mein Kopf versteht ja was passiert:
Kind möchte etwas. Etwas liegt aber noch nicht einem Bereich jener Dinge, die mit den kurzen Ärmchen (oder wo das Problem gerade eben liegt) möglich sind.
Kind ist frustriert. Kind schreit.
Verständlich.

Mein Kopf weiß auch, dass es wichtig ist dem Kind in diesem Moment zu verklickern:
„Ich verstehe, dass dich das wütend macht.“
(Kind will verstanden und trotz Schreikrampf geliebt werden, soweit komm ich noch mit).
Das wars dann aber auch schon mit der Theorie. Dann kommt der Punkt, an dem man dem vor Zorn rotangelaufenen
(und wild um sich schlagenden) Zwerglein Möglichkeiten anbieten sollte, mit dieser Wut umzugehen.
Ja und da liebe Freunde, da ist bei mir dann finito. Ende Gelände.

Denn eines weiß ich – ich drück dem kleinen Popper doch keine „Lösung“ aufs Auge, die zwar die Pädagogen in den Himmel preisen, die bei mir selbst jedoch rein gar nichts hilft, wenn ich in meinem Tobsuchtsanfall am liebsten einen süßen Teddybären massakrieren will.
Das tu ich dem Kind nicht an und mir auch nicht.

Also lasse ich es schreien. Und fühle mich dabei hundeelend.
Das geht so lange, bis ich schließlich auch wütend bin. Ja und das ist dann wirklich der Anfang vom Ende.
Nicht nur, dass ich das Gefühl habe dem aggressiven Halbwüchsigen nicht geholfen zu haben.
Jetzt kann ich auch mir selber nicht mehr helfen.

Und so sitzen wir zehn Minuten später da, der Vierjährige und ich.
Er glücklich, hat er sich doch alles aus dem Leib gebrüllt was die Stimmbänder hergeben konnten,
und ich hundsmiserabel, passiv aggressiv mit dem dringenden Verlangen
zum Trost eine Tafel Schokolade als zweites Frühstück zu verdrücken.

Unlängst hat mal jemand zu mir gesagt: „Aber du bist doch Yogalehrerin. Du solltest deine Emotionen doch besser im Griff haben.“ … … …da hat er sofort wieder zu sieden begonnen, mein Druckkochtopf.

Also gleichmal eines vorweg: Nur weil ein Wisch bestätigt, dass ich eine Ausbildung gemacht habe, heißt dass noch lange nicht, dass ich mich jetzt schon mit eingequetschten Schultern in der Schar der Erleuchteten tummle. Ganz im Gegenteil. Wenn mir Yoga eines deutlich vor Augen geführt hat dann das, dass ich einem Emotionsüberfall oft ziemlich machtlos gegenüberstehen. Und nach ein bisschen Recherche finde ich heraus, dass ich damit absolut nicht allein bin (nicht in Yogakreisen und auch nicht in Kreisen derer, die glauben Yoga hat was mit Joghurt zu tun).

Fairerweise muss ich zugeben, etwas lernen wir doch im Umgang mit der Wut. Wir lernen mit unserem Zorn keinem anderem zu schaden. … bekommen wir alle mehr oder minder gut auf die Reihe.
Wenn man sich jedenfalls soweit im Griff hat, dass man nicht in Richtung des Gatten oder der Kinder loskreischt, oder den armen Hund drangsaliert, dann bleibt noch immer die Frage: Wohin denn dann mit der ganzen Wut-Energie?

Ganz klar - noch bevor wir „Oh oh …“ sagen können,
hat sie sich schon eifrig gegen das einzige noch verfügbare Ziel gerichtet – einen selbst.

Und hier liegt oft das wahre Problem:

Wir haben gelernt in unserem Zorn keinem anderen zu schaden,
aber wir haben nie gelernt uns mit unserer Wut nicht selbst zu schaden.

Ein aktuelles Beispiel:
Donnerstag vor zwei Wochen. Thanksgiving.
Wir haben einen Ausflug geplant. Weil Herzmensch so viel arbeitet und die Freizeit etwas Heiliges ist, ist mir dieser Ausflug wichtig. Sehr wichtig.
Die Wut will auch mit ausfliegen. Nichts leichter als das. Als nach etwa einer Stunde Fahrt die Motorwarnleuchte zu blinken beginnt, ist sie mit von der Partie, die Wut. Sie macht es sich auf der Rückbank gemütlich als klar wird, dass der Ausflug beendet ist, bevor er überhaupt angefangen hat. Sie quengelt leise und unaufhörlich vor sich hin,
als es der stotternde Motor gerade mal zur Werkstatt schafft.
Die Werkstatt hat an Thanksgiving geschlossen.
Natürlich, ist ja auch ein Feiertag. Aus dem Wut-Quengeln wird ein lautstarkes Rumoren.
Wut ist nun dabei es sich so richtig bequem zu machen. Sie begleitet auf dem „Ersatzausflug“ aka „Spaziergang“ am nächsten Tag, den wir wegen orkanartiger Windböen nach 15 Minuten abbrechen müssen. Zur Krönung wurde das Fahrrad vom Herzallerliebsten gestohlen und die Suche nach einem passenden Ersatz verläuft erstmal erfolglos. Das Wut-Rumoren wird zum Randalieren.
Und als wir schließlich vier Tage später von der Werkstatt erfahren, dass unser Wägelchen allen Widerbelebungsversuchen zum Trotz das Zeitliche gesegnet hat, da bin ich so zornig, dass sich beim Spazieren mit unserem Wauz sogar
die Eichhörnchen vor mir in Sicherheit bringen.
(… Wauz kann sich nicht in Sicherheit bringen, Wauz ist an der Leine)

Photo by Motoki Tonn on Unsplash.jpg

Das Verhältnis zwischen mir und Wut ist … etwas angespannt.
(die Eichhörnchen können das bestätigen)
Da ich mir nicht sicher bin wie ich sie wieder loswerden soll und es langsam für mich und alle Beteiligten eine wenig ungemütlich wird, muss ich mir was einfallen lassen. In dem ganzen pädagogischen Zeugs, das ich einmal gelernt habe, findet sich keine Lösung.
Also bleibt da nur noch die Sache mit dem Yoga.

Ich beschließe, dass es einen Versuch wert ist,
kreuze die Beine und schließe die Augen.
… keine gute Idee.
Weil meine Wut und ich nicht so gut im Stillen miteinander sitzen können (Tobsuchtsanfall-Gefahr) wird bald klar:
eine andere Lösung muss her.
Die findet sich schnell und nennt sich schlicht:
„Geführte Meditation.“
Ich lausche also nicht meiner Wut, sondern der gefühlvollen Stimme einer Dame, die die Lösung zu kennen scheint.
Dass interessiert mich brennend, also bleibe ich im Schneidersitz hocken und höre zu…

Atmen soll ich, sagt die Frau.
Gut, ich atme.
… und dann soll ich hineinspüren, in meinen Körper.
Gut, ich spüre.
Hier und da zwickts und zwackts ein wenig,
aber ansonsten ist alles im Grünen Bereich.
Ja und dann verlangt die nette Dame ich solle mal schauen wo in meinem Körper sie genau sitzt, die Wut.
Das finde ich dann gar nicht mehr so toll.
Das kleine Mistding sollte man nicht auch noch mit Aufmerksamkeit belohnen.
Wiederwillig tue ich dennoch was verlangt wird und hoffe, dass die gute Frau weiß, wovon sie redet.
Ich brauche nicht lange zu suchen…
Wie ein Raubtier tigert die Wut in meiner Brust auf und ab und kratzt provozierend an der Innenseite meiner Rippen.
Als sie mich sieht faucht sie.
Am liebsten will ich ihr auf die Pfoten klopfen. Oder sie am Schwanz ziehen.
… bei dem Gedanken fühle ich mich gleich besser.
Aber so funktioniert das nicht, jedenfalls nicht wenn man den Worten der Meditationsfrau Folge leistet.
Und da ich folgsam (und außerdem mit meinem Latein am Ende) bin, tue ich weiterhin wie geheißen.
Ich klopfe nicht, ich ziehe nicht, ich höre zu.
Ja und dann sagt die liebe Dame etwas, mit dem ich so gar nicht gerechnet hätte.
Sie rät mir folgendes zu meiner Wut zu sagen:

Wut, ich sehe dich.
Ich bin für dich da.

Ich komme mir blöd vor.

Trotzdem fange ich an die Worte zögerlich zu wiederholen.

Wut, ich sehe dich.
Ich bin für dich da.

Das Raubtier hat aufgehört zu rennen.
Mit großen Augen und angelegten Ohren steht es da und starrt mich an.
Es scheint sich gerade nicht ganz auszukennen. Geht mir gleich.
Ich wiederhole die Worte weiter. Immer und immer wieder.
Erst murmelnd, dann ein wenig lauter.
Die WutKatze legt den Kopf schräg und stellt ein Ohr auf.
Irgendwann kommen die Worte wie von selbst über meine Lippen.
Immer und immer und immer wieder.
Die Mediation hat schon lange aufgehört. Die Stimme der Frau ist verklungen
und ich höre stattdessen nur mehr den Klang meiner eigenen Worte.
Fast hätte ich es nicht bemerkt - die WutKatze hat sich hingelegt.
Ganz klein sieht sie aus. Klein und hilflos. Und fast ein wenig ängstlich.

Und dann taucht plötzlich etwas auf, mit dem ich nicht gerechnet habe.
Während die Wut langsam verschwindet, tritt etwas anderes an ihre Stelle.
Und als die erste Träne über meine Wangen kullert, da habe ich das Gefühl zum ersten Mal seit langem
wieder tief durchatmen zu können.
Ich kann plötzlich sehen, was da unter der Wut verborgen lag. Beginne zu verstehen, was bis jetzt so unverständlich war.

Mit jeder weiteren Träne zerfließt der Ärger ein bisschen mehr. Lässt etwas in mir los.
Bis keine Tränen mehr da sind. Und auch die WutKatze lässt sich nicht mehr blicken.

Photo by Natalia Figueredo on Unsplash.jpg


Ich sage nicht, dass es immer funktioniert. Ich behaupte auch nicht, dass dies der einzige und wahre Weg zur ewigen Glückseligkeit ist. Aber wenn ihr euch mal nicht zu helfen wisst, wenn der Ärger euch die Luft und den Geduldsfaden abschnürt:


Setzt euch bequem hin.
Spürt euren Atem.
Spürt hinein in euren Körper.
Seht nach, wo sie gerade sitzt, die Wut.


Und dann sagt ihr zu ihr und euch selbst nichts anderes,
als das Folgende:

Wut, ich sehe dich.
Ich bin für dich da.


(Funktioniert übrigens auch mit anderen schwierigen Emotionen wie Frustration, Traurigkeit, …)

Gebt der Emotion einen Namen. Erlaubt ihr zu sein.
Ganz so wie sie gerade ist.
Emotionen sind nicht böse.
Sie tragen eine Botschaft, wollen uns etwas sagen, wollen gehört und verstanden werden.
Unsere Aufgabe ist es zuzuhören.